Irgendwie klingt das Ganze suspekt.
- Pen & Paper? Klingt nach Sudoku…
- Rollenspiel? Klingt nach Schlafzimmer…
Im Grunde handelt es sich dabei um eine Mischung aus Brettspiel (nur eben ohne Brett) und Improvisations-(ich fürchte mich vor dem Wort)-Theater.
Dabei ist vor allem der zweite Teil instinktiv abschreckend.
„Die wollen vom mir, dass ich schauspiele?!“
Nein.
Pen & Paper ist ein Gesellschaftsspiel. Genauso wie Mensch-Ärgere-Dich-Nicht.
Jeder von uns hat es schon gespielt und keiner findet es irgendwie „freaky“.
Würde ich aber plötzlich von meinen Mitspielern erwarten, dass jede ihrer Figuren einen Namen bekommt und seinen Weg auf dem Spielbrett beschreibt, dann müsste schon recht viel Alkohol im Spiel um zu verhindern, dass alle Beteiligten fluchtartig das Spiel verlassen.
Aber im Grunde hat jeder von uns bei Mensch-Ärgere-Dich-Nicht schon mal einen Gegenspieler vom Brett geschmissen, dabei in verstellter Stimme gerufen „Haha – hab‘ ich Dich“ und so getan als würde die Figur seinen Gegner vom Spielfeld kicken.
Pen & Paper nimmt genau diesen Aspekt, dass man seiner Figur Leben verleiht und rückt ihn in seiner Bedeutung weiter nach vorne.
Jeder Spieler erstellt zu Beginn einen Charakter. Seine persönliche Spielfigur.
Diese Figur hat einen Namen, eine Geschichte und – hier kommen die Spielregeln zum tragen – haufenweise Zahlen, die seine Person und seinen Charakter messbar machen.
All diese Informationen werden auf einem (oder mehreren Blättern) zusammengeschrieben und dienen dem Spieler als Referenz.
Aha! Pen AND Paper.
„Ja, aber muss ich denn nun schauspielen?!“
Das liegt bei Dir.
Ich selbst bin ein extrovertierter Typ. Ich habe kein Problem meine Stimme zu verstellen, oder plötzlich mit zugekniffenem Auge und herausgestreckten Vorderzähnen zu sprechen. Andere mögen das nicht. Und zumindest bei uns muss das auch keiner. Alles was Du tun musst ist, Dich in Deinen Charakter hinein zu versetzten. Wie würde dieser Charakter auf die gegebene Situation reagieren?
Gut, aber warum „Improvisations-Theater“ (ich kriege immer noch Angst bei dem Wort)?
Weil das Spiel selbst eine Geschichte ist, die erzählt wird. Von wem erzählt? Von allen Mitspielern zusammen. Es gibt kein Spielbrett wie bei „Mensch-Ärgere-Dich-Nicht“, mit vorgefertigten Feldern auf die man ziehen kann. Das wäre völlig irrsinnig, weil kein Spielbrett der Welt groß genug wäre um das abzubilden, was die Bühne (oh Gott schon wieder eine Theater-Referenz) ausmacht.
Das Spiel findet in einem erzählerischen Rahmen statt und könnte so aussehen:
Der Spielleiter beschreibt die Situation:
„Ihr sitzt gerade in der Bar und genießt euren Drink, als ein Fremder sich dazu stellt.“
So. Jetzt steht da irgend so ein Fremder herum.
Wie würdest Du reagieren, wenn Dir das wirklich passieren würde?
Das hängt jetzt davon ab, was Du selbst für ein Typ bist:
- Drehst Du Dich weg und hoffst, dass er dich nicht anspricht?
- Schaust Du ihn Dir genau an und versuchst ihn zuerst einzuschätzen, bevor Du das Gespräch eröffnest?
- Quatschst Du gleich los?
- Stehst Du auf und gehst?
- Haust Du ihm prophylaktisch mal auf’s Maul?
Wenn Du eine Vorstellung davon hast, wie der Charakter tickt, den Du erstellt hast kannst Du entsprechend seinem Typus reagieren. Und schon bist Du mitten im Spiel.
Und das erfordert eben Improvisation. Der Spielleiter kann nicht wissen, wie Du reagierst, bevor Du nicht reagiert hast. Damit die Geschichte aber glaubwürdig bleibt muss sich der Spielleiter nun auf Deine Reaktion einlassen und dem Charakter entsprechend auf Dich reagieren. Und umgekehrt genauso – jeder improvisiert.
Aber natürlich besteht nicht das ganze Spiel ausschließlich aus Dialogen – die sind nur ein Teil des Spiels und machen das Erlebnis realer. Für viele Spieler noch viel spannender ist aber der Kampf.
Denn das macht den zweiten Teil von Pen & Paper aus:
Sich mit irgendwelchen Gegnern zu prügeln.
Wozu sonst hat man zig verschiedene Zahlen auf seinem Zettel aufgeschrieben, wenn nicht, um sie auch einzusetzen. Stärke, Ausdauer, Beweglichkeit, Intelligenz und Charisma definieren natürlich nicht nur wie Dein Charakter sich verhält, sondern auch – und vor allem, wie geschickt er sich in einem Kampf behaupten kann. Wozu sonst schleppst Du eine Waffe mit Dir herum?
Der Kampf ist die taktische Komponente im Spiel.
- Wo stehe ich am besten?
- Wen greife ich an?
- Benutze ich meine Waffe, oder improvisiere ich und nehme einen Gegenstand und schmeisse sie dem Gegner an den Kopf?
- Wie? Ich befinde mich in einer Höhle und es stehen mir zwanzig wütende Mörderhenker gegenüber? Na, dann lasse ich die Höhle einstürzen und rette mich mit einem Sprung ins Freie.
Auch wenn das Spiel natürlich Regeln für den Kampf hat, die definieren was man machen kann und was nicht – am Ende ist es die eigene Kreativität die den Ausgang eines Kampfes diktiert.
Zitat meiner Tochter (4):
„Dann lasse ich mir eben 6 Arme wachsen und in jedem Arm halte ich ein Schwert“.
Zusammengenommen habe ich selten ein Spiel erlebt, das so fesselnd ist wie Pen & Paper. In der einen Sekunde streite ich mit einem Spieler über den Preis einer Wurst, in der Nächsten sprengt mir ein anderer das Klo in die Luft um mich abzulenken (und wir alle am Tisch lachen uns krumm und dämlich, weil der Trick gelungen ist) und am Ende würfeln wir alle wie verrückt um festzustellen, wer denn nun die entstandene Prügelei gewinnt.